Housemusic ist erwachsen geworden

Das Loveparade erprobte Magdeburger DJ und Produzententeam FM Stroemer über Vergangenheit, Trends und Zukunft von elektronischer Musik.

Housemusic ist erwachsen geworden.

Mit elektronischer Musik verbinden die Meisten von uns vor allem wahrscheinlich loopartige Drum ’n’ Bass-Beats die besonders intensiv durch Mark und Bein gehen. Aber ist das wirklich schon alles? Wir wollten’s genauer wissen und haben uns bei den zwei Szenekennern Frank und Marcel Strömer alias FM Stroemer schlau gemacht. Als bundesweit aktives DJ- und Produzententeam bereichern sie nicht nur das Magdeburger Nachtleben. Mit ihrer Single „Morning Light“ (Fuel Records/EastWest) haben sie bereits 1999 ausgiebig Loveparade Luft geschnuppert und stehen euch heute mit ihrem Erfahrungsschatz aus insgesamt 15 Jahren live und ungeschnitten miterlebter DJ-Kultur Rede und Antwort.

Frank:

FM Stroemer steht zunächst als Abkürzung für unsere Namen Frank und Marcel. Es bedeutet aber auch „Frequency Modulation“, also „Frequenzveränderung“.
Angefangen hat eigentlich alles 1988, als wir in unserem ursprünglichen Heimatort Ulm begonnen haben, eigenständig Konzerte und die ersten Technohouse-Raves in Süddeutschland überhaupt zu organisieren.

Marcel:

Es war uns immer wichtig künstlerisch tätig zu sein. Also haben wir zunächst Konzerte mit diversen Alternativebands wie, zum Beispiel, KMFDM selbstständig aufgezogen. Diese und ähnliche Bands haben schon damals durch ihre Instrumente elektronische Klänge in ihre Musik einfließen lassen und benutzt. Zu der Zeit hatten allerdings viele Leute noch große Berührungsängste mit derartig experimenteller Musik. Begriffe wie House oder Techno, die mittlerweile fest etabliert sind, gab es damals so gesehen noch gar nicht.
Uns hat aber immer schon das Sampling interessiert. Als Kinder haben wir ununterbrochen vor dem Radio gesessen um verschiedenste Musikmixe auf Kassetten aufzunehmen.
Mein Bruder war dann später der Erste von uns Beiden, der selbst aufgelegt und entsprechende Club-Kontakte geknüpft hat.
Ich habe mich zunächst auf die künstlerische Gestaltung und Planung unserer Events konzentriert, das heißt, zum Beispiel, Partykonzepte, Plakate entworfen und Werbung gemacht, bevor ich ebenfalls mit dem DJing angefangen habe.
Dementsprechend genial war es für uns, mit dem eigenen kreativen Engagement aktiver Teil einer Szene zu sein, die mit den Jahren immer größer wurde.

nachtlebenMD:

Beschreibt bitte eure Musik kurz in eigenen Worten?

Frank:

Unser Motto ist 100% Pure House. Das bedeutet für uns, eine Mischung aus House und Techno, in der sich die kompletten Spielrichtungen von elektronischer Musik widerspiegeln sollen.
 

nachtlebenMD:

Frank, in einem Interview hast du mal gesagt:
„Musik sahen wir immer schon als „Tor zur Welt“ und konnten ihrer Vielseitigkeit nicht widerstehen.“ Was genau bedeutet das?

Frank:

Was wir in jedem Fall ablehnen, ist ein reines Schubladen-Denken.
In erster Linie bist du DJ für elektronische Musik – da ist es einfach Gang und Gebe, dass man nicht ausschließlich nur Minimal Music oder Techno auflegt. Stattdessen sollte man kreativ sein und dem Publikum soviel wie möglich bieten, um den Abend für die Clubgänger spannend und interessant zu halten. Welche Musik dann letztendlich gespielt wird, hängt natürlich auch von der Atmosphäre des Clubs und der Stimmung der Besucher ab. Darum ist Musik in erster Linie reine Kommunikationsform – Du gibst mit deiner Performance viel von dir Preis und bekommst entsprechend auch etwas vom Publikum zurück.

nachtlebenMD:

Wovon lasst ihr euch beim Produzieren von eigenen Tracks bzw. beim Auflegen inspirieren?
 

Frank:

Heute schaut man sich viel auf dem Musikmarkt um. Außerdem gibt es mittlerweile ein umfangreiches Netzwerk an befreundeten DJs oder anderen Kontaktpersonen aus der Szene. Man hat bis heute einfach in allen wichtigen Bereichen einen großen Kreis an Leuten, die man kennt. Außerdem bietet das Internet ein enormes Potenzial an Möglichkeiten zu recherchieren und sich in jeder Hinsicht zu informieren.
 

Marcel:

Mit der Musik, die wir auflegen, möchten wir einerseits auch Leute begeistern, die sonst nur Mainstream hören, sie neu zu begeistern und auch eine gewisse Tiefe zu vermitteln. Das Wichtigste ist deshalb, durch die Musik einfach Gefühle zu transportieren. Musik von FM Stroemer ist emotionale, tiefgründige Musik, die aber unbedingt tanzbar ist.
Als DJ muss man für dieses Ziel oftmals richtig in Plattenläden suchen, um das Besondere zu finden, aber genau das macht es auch interessant.
Auffallend ist, dass in den letzen Jahren insgesamt eine große Veränderung passiert ist: Housemusic ist dahin zurückgekehrt, von wo sie ursprünglich gekommen ist, in die eigene Szene, zu den Wurzeln. Alle Trittbrettfahrer, die sich Anfang der 90er Jahre am Technoboom bloß bereichern wollten, gibt es heute nicht mehr, weil sie sich umorientierten und die Konsumenten-Strukturen stark verändert haben.
Heute legen DJs wieder aus einer inneren Überzeugung und echter Freude zur Musik auf. Housemusic ist erwachsen geworden. Sie hat mittlerweile ihren Platz gefunden, ohne jedem gefallen zu müssen.
Wenn uns diese Musik nichts geben würde, könnten wir nicht nach so langer Zeit auch jetzt noch dabei bleiben und sie weiterführen. Heute gibt es keinen Anspruch mehr, Grenzen zu ziehen müssen. Wir wollen mit unserer Musik ausreizen, welche neuen, technischen Spielarten es gibt. Du kannst zum Beispiel ein einzelnes Wort aus einem Lied herausnehmen, sampeln, es verändern und wieder neu einsetzen. Das ist eben gerade das Faszinierende an dieser Form von Musik – Sie bietet der künstlerischen Seele so viele Möglichkeiten auszubrechen und persönliche Kreativität zu entfalten.

nachtlebenMD:

Stichwort Grenzenlos – Was haltet ihr von solchen Kollaborationen wie zum Beispiel zwischen Westbam und Nena?

Marcel:

Das ist gut. So wird Musik neues Leben eingehaucht, sie wird dadurch ganz neuen Hörern zugänglich gemacht, die sich vorher vielleicht noch nicht zum Beispiel mit Housemusic beschäftigt haben. Außerdem findet vor allem ein übergreifender Austausch zwischen den Künstlern und ihren Genres statt, die zusammenarbeiten. Das ist sehr wichtig. Es gibt momentan viele populäre Bands, die bewusst elektronische Musik in den eigenen Musikstil einbauen. Nimm zum Beispiel Madonna oder Depeche Mode. Da sind solche Einflüsse maßgebend unüberhörbar. Das zeigt, dass elektronische Musik einfach nicht mehr wegzudenken ist, auch, wenn sie momentan nicht mehr so offensichtlich präsent zu sein scheint, wie noch vor gut 10 Jahren.

nachtlebenMD:

Wenn man etwas in eurer Vergangenheit stöbert, wird schnell deutlich, dass ihr ein großes musikalisches Interesse habt. Auf eurer Website finden sich unter anderem Links zu 2Raumwohnung, Moloko oder Moby und aus der Presse kann man erfahren, dass ihr euch vor eurer Zeit als DJs besonders in der Alternative-Szene aufgehalten habt.
Mit welchen DJs oder anderen Künstlern würdet ihr da gerne selber einmal zusammenarbeiten wollen?
 

Frank:

Früher wollte Marcel immer gerne mit Michael Jackson etwas zusammen machen. Ich persönlich würde mit Madonna im Studio ganz gut klar kommen (lacht).
Generell ist man als DJ immer fasziniert von Leuten, die ihr Handwerk beherrschen. Darüber hinaus reizt es jemanden natürlich, immer neues auszuprobieren, also, zum Beispiel, mit Leuten zusammen zu arbeiten, die nicht unbedingt im Bereich elektronischer Musik beheimatet sind, sondern denen dieses Genre bisher vielleicht eher fremd war.
 

Marcel:

Es gibt diesbezüglich nach heutiger Sichtweise für mich aber keinen bestimmten Wunsch. Hierarchien sind nicht wichtig. Es soll einfach passieren, denn, es geht um den kreativen Prozess. Darum ist eine Kollaboration mit einem talentierten Straßenmusiker genauso möglich, wie mit einem professionellen Studiomusiker. Einzig und allein der Anspruch auf Echtheit zählt.

nachtlebenMD:

Was macht einen guten DJ aus?
 

Frank:

Ein guter DJ (überlegt) – Eine gute Frage! Ein guter DJ muss Leute körperlich und geistig bewegen können. Das heißt, er muss sie einerseits zum Tanzen bringen und ihnen geben, was sie schon kennen, sollte andererseits aber auch genug Selbstvertrauen haben, eigene Ideen umzusetzen, die auf den ersten Blick vielleicht unkonventionell erscheinen. Die Kombination, das Publikum zu unterhalten und zu überraschen – darauf kommt es an.

Marcel:

Er muss die Leute faszinieren, sie in seinen Bann ziehen können.


Fm Stroemer mit ihrer goldenen Schallplatte.

nachtlebenMD:

Der Himmel für einen DJ ist…?

Marcel:

Da fragst du jemanden, der schon im Himmel war! (lacht)
Wir haben ja schon an verschiedensten Orten aufgelegt: In besetzten Häusern, auf Vernissagen, in Toiletten von kleineren Clubs oder auf großen Techno Paraden sowie Open Air Veranstaltungen…
Aber, der schönste Moment ist eigentlich der, wenn du an den strahlenden Augen der Leute siehst, dass du sie mit deiner Musik wirklich berührt hast und sie verstanden haben, was du ihnen vermitteln willst. Ich erinnere mich an einen Auftritt, als ich als Intro 15 Minuten lang ein genrefremdes Material in Form von gregorianische Mönchsgesänge gespielt hatte. Die Partycrowd war im ersten Moment total verwundert und erstaunt, fing dann plötzlich vor Begeisterung an zu kreischen, weil sie in diesem Augenblick unbedingt einfach nur lostanzen wollten. Wenn du so etwas live auf einem Event erlebst, wie sich eine so energetische Spannung zwischen dir und deinem Publikum langsam aufbaut und immer stärker wird, ist diese Ergriffenheit unbeschreiblich.
Allein innerhalb eines drei bis fünf Stunden-Sets hast du so viele Möglichkeiten mit deiner Plattensammlung und deinem Können Geschichten zu erzählen. Unterschiedliche musikalische Einflüsse und Sparten lassen sich in Housemusic gut miteinander vermischen. Dies zeichnet ein solides Club-Set aus. Es steht dir schließlich frei, welche Stimmung du wann erzeugen möchtest.
Deshalb ist der Unterschied zwischen einem DJ und den Musikern einer Band: der DJ kann mit allem spielen, was vorhanden ist. Abhängig vom technischen Equipment und seiner Plattensammlung kann er sein DJ-Set jeden Abend variabel gestalten und seiner Phantasie dabei größtmöglichst freien Lauf lassen. Eine Band ist, streng genommen, auf ein eingespieltes Repertoire festgelegt. Also kann der DJ freier und spontaner reagieren.

Frank:

Technisch gesehen ist der Himmel für einen DJ einfach der ideale Club. Sprich 300 bis 500 Leute, gute Stimmung, ein gutes Sound- und Lichtsystem. Leider wird gerade in punkto Sound-Ausstattung noch in sehr vielen Clubs gespart. Da würde ich mir eine positive Veränderung sehr wünschen.

nachtlebenMD:

Ihr seid sowohl Loveparade als auch Club erprobt – Was sagt euch persönlich eher zu?

Marcel:

Natürlich musst du, im Vergleich, in einem Club immer Kompromisse eingehen. Diese Geschichte, um die es bei Housemusic geht, lässt sich in kleineren Locations besser erzählen. Wir waren und sind immer noch viel in Clubs unterwegs.W as uns eine Inspiration gegeben hat, selbst ins DJing einzusteigen, war damals eine Veranstaltung in Köln. „Strictly Rhythm“-Label Night hieß die. Dort haben die angesagtesten DJs aus USA wie Armand van Helden, DJ Georg Morel, Barbara Tucker, Hans Nieswandt performed. Gemeinsam mit szeneübergreifenden Künstler wie zB. dem Berliner Malkünstler Jim Avignon, klassischen Tanzperformances und Showeinlagen. Während die DJs ihr Vinyl drehten, wurde auf anderer visueller Ebene aus dem Bauch heraus zu der Musik gemalt und performed. Einfach magisch!
Solche Erlebnisse haben uns fasziniert, wiederum dazu motiviert, selbst eigene Clubs zu eröffnen, genauso wie größere Veranstaltungen zu organisieren, Kunstausstellungen, Partys und Techno-Paraden ins Leben zu rufen.

Frank:

Auf solchen großen Veranstaltungen wie der Loveparade oder der Streetparade dabei zu sein ist ohne Frage etwas ganz besonderes. Im Großen und Ganzen liegt uns doch eher die überschaubare Clubgeschichte.

nachtlebenMD:

In einem früheren Interview von euch sagt ihr, wie unbefriedigend es ist, dass heutzutage einige DJs nur noch mit Laptop auflegen und, was sogar noch schlimmer sei, wenn der Auftritt auch noch im Sitzen passiert – Wie sieht eine eurer Performances aus?

Frank:

Wir bieten definitiv keine Performance im Sitzen! Es fängt schon damit an, dass du dich auf deinen Auftritt vorbereitest, indem du die aufgelegten Platten vorher zuhause genau aussuchst. Sicher haben viele heute ein Problem damit, Plattenkisten zu schleppen, aber auf einem Laptop musst du gar nichts mehr machen, weil schon alles vorprogrammiert ist. Im Club muss man dann auf jeden Fall mit den Leuten mitgehen, schließlich sehen sie dich hinter deinem Pult und wollen dich auch sehen, darum sollte man sich niemals hinter dem PC verstecken. Schließlich ist Auflegen kein Job wie jeder andere und das heißt für mich, dass ich dann da auch am Start bin!

Marcel:

Die Herausforderung ist permanent, ein gutes Gespür für die Leute und den Club zu entwickeln. Das ist etwas, dass jeder DJ erst lernen muss und beherrschen sollte.

nachtlebenMD:

Vinyl vs. Laptop – wie steht ihr dazu?

Marcel:

Mit deiner Plattensammlung besitzt du etwas, was andere gar nicht haben und es gibt erhebliche Unterschiede in der Auswahl und Qualität. Für mich heißt DJing ausschliesslich mit Vinyl zu arbeiten. Du bist mit der Schallplatte flexibler und die Leute sind immer mehr davon begeistert, zu sehen, wie du damit arbeitest. Das ist auch das Gute, wenn man nachts hin und wieder DJs live im Fernsehen auflegen sieht. Die Kamera hält einfach nur auf den DJ und der Zuschauer kann ihm die ganze Zeit direkt auf die Finger schauen. Vinyl im Club zu mixen ist wiederum völlig anders, bedingt durch die erzielte Resonanz.
Das wichtigste und auffallendste Werkzeug für DJs ist doch der Kopfhörer beziehungsweise gutes DJ Equipment. Daran siehst du wie gerade gearbeitet wird, wie man mischt und genau das ist ja die Kunst daran. Es gibt tausend DJs, aber keiner ist wie der andere.

Frank:

Viele DJs haben keine Lust mehr darauf, Plattenkisten zu schleppen und setzen lieber auf ausgereifte Playertechnik. Dabei hat Auflegen mit Vinyl mehr Sex, auch, wenn es ein Nischenmarkt sein wird, da es jetzt schon beides nebeneinander gibt und auch in Zukunft geben wird, weil die Grenzen im Grunde fließend sind. – Das ist aber nicht unbedingt problematisch.

nachtlebenMD:

Ihr seid ja mit eigenen Events eigenem Label, Clubs und aktiver Nachwuchsförderung extrem engagiert.- Was wird es denn in naher Zukunft Neues aus dem Hause FM Stroemer zu hören geben?

Frank:

Im Moment widmen wir uns vor allem der Nachwuchsförderung. Darum wird es sehr bald die zweite Veröffentlichung von DJ Decline, mit dem wir gerade produzieren, auf seinem Label „Stay Krass Recordings“ geben. Außerdem werden wir Anfang 2006 mit neuen Arbeiten in unseren „Lovebomb Studios“ beginnen, sowie die Weiterführung von Lovebomb Productions Germany.

nachtlebenMD:

Was glaubt ihr, als Kenner vom Fach, muss ein ambitionierter DJ heutzutage mitbringen um erfolgreich bei Plattenlabels Fuß fassen zu können?

Frank:

(überlegt): Das kann man nicht in einen Satz fassen. Das absolut Wichtigste ist, Kontakt zu suchen und zu fragen. Immer sehen, was die Profis machen, sich Ratschläge und Tipps holen und den Mut haben, eigene Kreativität durchzusetzen. Heute ist es insgesamt leichter Starthilfe zu finden, solange man nicht verlegen ist zu fragen.
Dann bekommt man auch relativ schnell Chancen, sich zu beweisen. Gute Musik findet immer die richtigen Leute.

Marcel:

Unbeirrt einfach so viel wie möglich selbst machen und sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen.

nachtlebenMD:

Wie feiert ihr Silvester?

Beide:

(wie aus einem Mund) Ganz privat.

nachtlebenMD:

Habt ihr abschließende Worte?

Marcel:

Beschäftigt euch wieder mehr mit der Musik!

Wir danken für das Interview. 
Das Gespräch führte: Bernd Biermann für nachtlebenMD.de.

Booking-Kontakt: Lovebomb Productions Germany, Tel.: 0174-4140505, E-Mail: Bitte aktivieren Sie JavaScript um diese E-Mail-Adresse anzuzeigen.

Weiterführende Links

Offizielle Webseite von FM Stroemer

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